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SCIENCE-Publikation: EU-Agrarreform wird Artenvielfalt nicht ausreichend schützen [06.06.14]
Zu viele Ausnahmeregelungen: Forscher empfehlen im Wissenschaftsmagazin SCIENCE zusätzliche Maßnahmen / Noch sei ein Umsteuern möglich
Leipzig. Die neue Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union wird den Schutz der biologischen Vielfalt nicht verbessern, sondern sogar weiter verschlechtern. Zu diesem Ergebnis kommt eine internationale Studie unter Leitung des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ), die in der aktuellen Ausgabe des renommierten Wissenschaftsmagazins SCIENCE erschienen ist. Die Wissenschaftler hatten dazu die Änderungen in der Gesetzgebung analysiert sowie mit Daten des Statistischen Amtes der Europäischen Union (Eurostat) verglichen, um herauszufinden was die reformierte Agrarpolitik tatsächlich bewirken wird. Koautoren der Studie stammen von den Universitäten Hohenheim und Freiburg sowie aus den USA, Großbritannien, der Schweiz, Ungarn, den Niederlanden, Belgien, Israel und Frankreich. Vollständige Studie unter dx.doi.org/10.1126/science.1253425Die Europäische Union hat zwar verschiedenste Gesetze und Richtlinien für den Habitat,- Vogel- oder Wasserschutz erlassen, aber keine davon hat so großen Einfluss auf die Ökosysteme wie die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). Im Dezember 2013 verabschiedete die EU deren Reform, die für die Jahre 2014 bis 2020 gilt.
Mit einem Gesamtbudget von rund 360 Milliarden Euro wirkt sich die GAP auf rund die Hälfte der Landfläche der EU aus und damit auf unzählige Arten, die sich im Laufe der Jahrhunderte an diese Kulturlandschaften angepasst haben.
Negative Trends halten aus Sicht der Artenvielfalt an
Die Ausweitung der landwirtschaftlichen Nutzfläche und eine stärkere Intensivierung prägen die Landwirtschaft in Westeuropa und zunehmend auch in den neuen EU-Mitgliedsstaaten. Parallel dazu sind ein erheblicher Verlust ökologisch wertvoller Agrarlandschaften und ihrer Artenvielfalt, zum Beispiel bei Vögeln, sowie gleichzeitig ein Rückgang der Beschäftigung in der Landwirtschaft zu verzeichnen.
Die EU-Biodiversitätsstrategie sieht unter anderem vor, die Flächen, die für Biodiversitätsschutzmaßnahmen unter der GAP verwendet werden, zu maximieren. Die Reform der GAP, für die rund 40 Prozent des EU-Haushalts eingeplant sind, sollte daher neben der Lebensmittelsicherheit und der Förderung ländlicher Gebiete auch den Klima- und Umweltschutz unterstützen.
„Die aktuelle GAP-Reform hat jedoch das ursprüngliche Ziel, 10 Prozent der Agrarfläche für den Erhalt der Artenvielfalt und von Ökosystemdienstleistungen vorzuhalten, weiter reduziert und viele Ausnahmeregelungen geschaffen, die zu einem weiteren Verlust wertvoller Kulturlandschaften führen werden. Dieser Verlust und die zunehmende Intensivierung machen Agrarlandschaften für viele Arten lebensfeindlich“, stellt Prof. Dr. Klaus Henle vom UFZ fest.
Ziel wird voraussichtlich verfehlt
Die Studie zieht ein ernüchterndes Fazit: Die neue Reform der GAP hat wenig Chancen diese Trends aufzuhalten und wird somit das Ziel einer „grüneren Landwirtschaft“ („Greening“) verfehlen, wie die Autoren anhand europaweiter Statistiken aufzeigen konnten.
Ursache dafür sind die vielen Ausnahmeregeln: So unterliegen Betriebe mit einer Fläche unter 10 Hektar keinen Regelungen zur Diversifizierung von Fruchtfolgen. Damit entfällt für rund 80 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe diese Pflicht.
Ähnlich abgeschwächt sind die GAP-Ziele für den Erhalt von Dauergrünland, die eine weitere Reduktion um 5 Prozent der derzeit vorhandenen Grünlandfläche zulassen. Die ökologischen Vorrangflächen müssen nur noch für etwa die Hälfte der vorhandenen Agrarflächen bereitgestellt werden.
„Die EU kommuniziert das „Greening“ der GAP bereits als große Errungenschaft. Doch nur wenn alle Mitgliedsstaaten Umsetzungsstrategien entwickeln, die erheblich über die verbindlichen Verpflichtungen hinausgehen, kann ein Greening erreicht werden“, sagt Dr. Guy Pe’er vom UFZ, der Leitautor der SCIENCE-Publikation ist.
Chancen, das Ruder noch herumzureißen
Die Botschaft der Autoren der Studie ist daher: Die von der EU vorgegebenen Mindestziele werden nicht ausreichen, aber die Mitgliedstaaten haben selbst 2014 immer noch ausreichend Spielraum, um engagiert mehr zu tun, als in der Reform als Mindeststandard gefordert ist. Im Wissenschaftsjournal SCIENCE empfehlen sie daher den EU-Mitgliedsstaaten mehrere Maßnahmen. Dazu gehören unter anderem die gezieltere Unterstützung von kleinen, nachhaltig wirtschaftenden Landwirtschaftsbetrieben aus dem Budget der sogenannten zweiten Säule der GAP, die zur Förderung ländlicher Räume und für Agrarumweltmaßnahmen gedacht ist. Außerdem schlagen die Forscher vor, in den ökologischen Vorrangflächen nur noch Kulturen und Bewirtschaftungsmethoden zu fördern, die nachweislich positive Effekte auf die Artenvielfalt haben. Ebenfalls wichtig sei es den Umbruch von Dauergrünland zu verhindern.
Prof. Dr. Martin Dieterich, Ko-Autor aus Hohenheim, forderte eine adäquate Honorierung von Landwirten für Umweltleistungen insbesondere auch im Grünlandbereich. „Die derzeitigen Fördersätze für extensive Grünlandnutzung sind zu niedrig und decken bei weitem nicht die gesamtbetrieblichen Kosten. Wir verlieren weiterhin wertvollste Lebensräume. Dies gilt gerade auch für die besonders geschützten und artenreichen Flachland- und Berg-Mähwiesen, deren Erhaltungszustand im letzten Bericht an die EU im vergangenen Jahr national und in Baden-Württemberg als schlecht eingestuft worden ist.“
Ein weiteres Anliegen von Prof. Dr. Dieterich ist es die Praxisnähe der Forschung zu sichern: „Die Studie zeigt, dass wir weiterhin praxisorientierte Forschung und eine Universitätsausbildung brauchen, die geeignet ist agrar-ökologisches Fachwissen möglichst unmittelbar in die Anwendung zu tragen.
Die Umsetzung der Reform wird zeigen, ob Deutschland und die anderen Mitgliedsstaaten ihre Flexibilität nutzen, um über das von der EU geforderte Minimum hinauszugehen und nationale Pläne aufzustellen, die die Agrar-Lebensräume und
-arten besser schützen. Die Wissenschaftler appellieren, die Spielräume zugunsten der Artenvielfalt zu nutzen und hoffen, dass die nächste EU-Agrarpolitik, über die ab 2017 verhandelt werden wird, die ökologischen Vorrangflächen spürbar erhöht.
Publikation:
G. Pe’er, L. V. Dicks, P. Visconti, R. Arlettaz, A. Báldi, T. G. Benton, S. Collins, M. Dieterich, R. D. Gregory, F. Hartig, K. Henle, P. R. Hobson, D. Kleijn, R. K. Neumann, T. Robijns, J. Schmidt, A. Shwartz, W. J. Sutherland, A. Turbe, F. Wulf and A. V. Scott (2014): EU agricultural reform fails on biodiversity. SCIENCE, 6 June 2014, Vol. 344, Issue 6188. DOI: 10.1126/science.1253425.
Hintergrund Studie:
Die Studie wurde gefördert von der Europäischen Kommission (FP-Projekte SCALES & LIBERATION), den Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF) und der Schweizer Regierung, der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (MTA) sowie dem Arcadia-Fond und dem Natural Environment Research Council (NERC) aus Großbritannien.
Hintergrund Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung
Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt. Sie befassen sich mit Wasserressourcen, biologischer Vielfalt, den Folgen des Klimawandels und Anpassungsmöglichkeiten, Umwelt- und Biotechnologien, Bioenergie, dem Verhalten von Chemikalien in der Umwelt, ihrer Wirkung auf die Gesundheit, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ihr Leitmotiv: Unsere Forschung dient der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und hilft, diese Lebensgrundlagen unter dem Einfluss des globalen Wandels langfristig zu sichern. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg 1.100 Mitarbeiter. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.
Homepage: www.ufz.de
Hintergrund Helmholtz-Gesellschaft
Die Helmholtz-Gemeinschaft leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche Spitzenleistungen in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie sowie Luftfahrt, Raumfahrt und Verkehr. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit fast 34.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 18 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 3,8 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Ihre Arbeit steht in der Tradition des großen Naturforschers Hermann von Helmholtz (1821-1894).
Homepage: www.helmholtz.de
Text: Tilo Arnhold
Kontakt für Medien:
Dr. Guy Pe’er, Prof. Dr. Klaus Henle; Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Tel.: 0341-235-1643, -1270, Homepage: www.ufz.de/index.php?de=15885, www.ufz.de/index.php?de=1868
Prof. Dr. Martin Dieterich, Universität Hohenheim, Fachgebiet Landschaftsökologie und Vegetationskunde
Tel.: 0711 45923530 oder 07021 735942, E-Mail: Martin.Dieterich@uni-hohenheim.de