Klare Sicht in der Tiefe: Fische in trüben Gewässern besitzen speziellen Infrarot-Blick [24.06.13]
Studie der Universität Hohenheim zeigt: je trüber der Lebensraum, desto stärker ist die Fähigkeit von Fischen Infrarotlicht zu sehen.
Menschen nehmen es gar nicht wahr – doch manche Fische können sich anhand von Infrarotlicht auch in trüben, schlammigen Gewässern orientieren, so das Ergebnis einer aktuellen Studie der Universität Hohenheim. Das Besondere: Je trüber der Lebensraum einer bestimmten Fischart, desto besser sind die jeweiligen Arten an die Infrarotsicht angepasst. Laut den Autoren der Universität Hohenheim lässt dies auf eine lange evolutionäre Entwicklung schließen. Bis vor kurzem hatten Forscher noch ausgeschlossen, dass Fische überhaupt infrarotes Licht wahrnehmen können. Die neuen Erkenntnisse bieten Wissenschaftlern völlig neue Beobachtungsmöglichkeiten für Verhaltensstudien. Erschienen sind die Ergebnisse im Open-Source-Magazin PLOS ONE dx.plos.org/10.1371/journal.pone.0064429 [1].Je trüber das Wasser, desto schlechter ist die Sicht. Der Grund hierfür: Teile des für uns sichtbaren Lichts werden an Mikropartikeln, die das Wasser trüben, gestreut und absorbiert. Das langwelligere rote und infrarote Licht wird nicht so stark gestreut, daher erhöht sich sein relativer Anteil im trüben Wasser deutlich.
„Ganz offensichtlich haben sich Fische diesen Umstand im Laufe der Evolution zunutze gemacht“, meint Dr. Denis Shcherbakov, Leiter der Arbeitsgruppe Magnetobiology and Animal Orientation.
Fische und Infrarot-Sehen: Ein neues Feld in der Wissenschaft
Das Wissen, dass Fische überhaupt in der Lage sind, Licht im Bereich des nahen Infrarots zu sehen, ist noch sehr neu in der Biologie. „Dann fiel uns in Zusammenhang mit einem ganz anderen Experiment mit Mosambik-Buntbarschen auf, dass die Tiere auf das Infrarotlicht zu regieren schienen“, berichtet Dr. Shcherbakov.
Mit einem speziell dafür entwickelten Verhaltensexperiment gelang ihnen der Nachweis. Im Test schwammen die Fische gezielt auf die infrarote Lichtquelle zu. Diese Ergebnisse wurden bereits im Jahr 2012 in der Zeitschrift "Zoology" veröffentlicht [2].
Experimente mit Zierfischen und afrikanischen Speisefischen
Ab diesem Zeitpunkt begann der Forscher mit systematischen Studien, um die ökologische Bedeutung des Infrarot-Sehens zu untersuchen. Dazu wählten Dr. Shcherbakov und seine Mitarbeiterinnen fünf Fischarten aus verschiedenen Lebensräumen. Dabei verglichen sie drei Arten, die Klarwasser bevorzugen, mit zwei Fischarten aus trüben Gewässern.
„Als Klarwasserfische wählten wir zwei beliebte Zierfische, Guppy und Schwertträger, und den als Forschungsobjekt sehr beliebten Zebrafisch“ erklärt Mitarbeiterin Alexandra Knörzer. Der Nilbuntbarsch und der Mosambik-Buntbarsch hingegen sind zwei wirtschaftlich wichtige Speisefische aus sehr trüben Gewässern“, ergänzt Mitarbeiterin Svenja Espenhahn.
Empfindlichkeit für Infrarotlicht unterscheidet sich von Art zu Art
Für die Experimente setzte der Biologe jeweils einen Jungfisch (insgesamt 30 pro Spektrum und Fischart) in einen kleinen runden Wasserbehälter und beleuchtete ihn mit einer infraroten Lichtquelle, die je nach Experiment unterschiedliche Spektren emittierte. „Eine einzelne Lichtquelle wirkt auf Fische wie das Licht am Ende eines Tunnels auf uns“ erklärt der Forscher. „Wenn sie es wahrnehmen, bewegen sie sich direkt darauf zu.“
Dabei zeigte sich, dass die Fischarten sehr unterschiedlich reagierten. „Am lichtempfindlichsten waren Nil- und Mosambik-Buntbarsche, die beiden Spezies aus dem trüben Lebensraum. Sie nahmen die infrarote Strahlung bis zu einem Spektralbereich von über 930 nm wahr“, fasst Dr. Shcherbakov zusammen.
Viel geringer sei jedoch die Lichtempfindlichkeit der Klarwasserfische gewesen: „Guppys und Zebrafische zeigten bereits ab Wellenlängen über 910 nm keinerlei Reaktion. Der Schwertträger reagierte sogar nur auf Wellenlängen bis zu 845 nm."
Diese Ergebnisse deuten auf eine klare evolutionäre Anpassung der jeweiligen Spezies an die vorherrschenden Lichtbedingungen in den von ihnen bewohnten Habitaten.
Ab jetzt auch Forschung im "Dunkeln" möglich
Die Ergebnisse eröffnen außerdem völlig neue Beobachtungsmöglichkeiten für Verhaltensstudien. "Wenn wir die individuellen Sehgrenzen der verschiedenen Fischarten kennen, können wir die Fische bei Lichtwellen beobachten, die für Beobachtungskameras sichtbar sind, während sich der Fisch in völliger Dunkelheit wähnt. Das ist für alle Studien wichtig, in denen eine störende Wirkung vom wahrnehmbaren Licht sicher ausgeschlossen werden muss.“
"Für solche Experimente können dann spezielle LED-Lampen verwendet werden: Diese strahlen infrarotes Licht eines genau definierten Spektrums aus, welches die Fische sicher nicht wahrnehmen können".
Es herrscht Aufbruchsstimmung
Die aktuelle Studie gibt Ausblicke über die generelle ökologische Rolle des Infrarot-Sehens, mit dem sich Fische im Laufe ihrer Evolution an bestimmte Lebensbedingungen anpassten. Jetzt sind weitere Forschungen notwendig, um die gesamte biologische Bedeutung detailliert zu erfassen.
Außerdem eröffnet die Entdeckung der infraroten Sensitivität am Modelorganismus Zebrafisch den Weg für weitere Studien auf der Suche nach den Genen, die für infrarote Sensitivität verantwortlich sind.
Diese interessanten Ergebnisse bieten Grundlagen für weitere Forschung. Dr. Shcherbakov: „In unserer Arbeitsgruppe herrscht Aufbruchsstimmung.“
Literatur:
1. Shcherbakov D, Knörzer A, Espenhahn S, Hilbig R, Haas U and Blum M (2013) Sensitivity Differences in Fish Offer Near-Infrared Vision as an Adaptable Evolutionary Trait. PLoS ONE 8(5): e64429. doi:10.1371/journal.pone.0064429.
2. Shcherbakov D, Knörzer A, Hilbig R, Haas U, Blum M (2012) Near-infrared orientation of Mozambique tilapia Oreochromis mossambicus. Zoology 115: 233-238.
Text: Klebs
Kontakt für Medien:
Dr. rer. nat. Denis Shcherbakov, Universität Hohenheim, Arbeitsgruppe Magnetobiology and Animal Orientation
Tel.: 0711 459-22525, E-Mail: denis.scherbakov@uni-hohenheim.de